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04. April 2024

Innenstadtretter Gastronomie?

EXKLUSIVER GASTBEITRAG VON WOLFGANG RICHTER, EIGENTÜMER DER REGIOPLAN CONSULTING GMBH (WIEN)
Wolfgang Richter, Eigentümer von RegioPlan Consulting.
Foto: RegioPlan
So haben sich die Verkaufsflächen im Einzelhandel in Österreich verändert.
Grafik: RegioPlan

In letzter Zeit wird oft große Hoffnung in die Gastronomie als vermeintlichen Retter der Innenstädte gesetzt. Es ist auch verlockend zu meinen, dass jene Flächen, die der Einzelhandel verloren hat und auch künftig sicher noch verlieren wird, einfach mit jenen aufzuwiegen seien, die die Gastronomie zukünftig benötigen könnte. 

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, und zwar aus drei Gründen: Erstens wird der stationäre Einzelhandel künftig mehr Flächen verlieren, als die Gastronomie jemals brauchen kann.  Zweitens agiert die Gastronomie in einer Handelszone fast immer als Frequenznutzer und nicht als Frequenzbringer und kann somit nicht „retten“, sondern ist selbst von starken Besucherströmen abhängig. Und drittens, weil auch die Gastronomie sehr spezifische Ansprüche an die Flächen, die Umgebung und die Umsatzpotenziale stellt, und die sind auch in einer funktionierenden Handelszone oft nicht passend vorhanden. Es ist daher nicht zu erwarten, dass die Gastronomie die Frequenzrückgänge und die Lücken, die der Einzelhandel in den Innenstädten hinterlassen hat, restlos ausfüllen kann. Trotzdem kann und wird die Gastronomie künftig einen ausgesprochen wichtigen Beitrag für die Vitalisierung der Innenstadtzonen leisten.

Es stimmt natürlich, dass der stationäre Einzelhandel über die Jahre an Bedeutung verliert und die Gastronomie in ähnlichem Ausmaß gewinnt. Bedingt durch den zunehmenden Onlinehandel, vor allem bei innenstadtrelevanten Warengruppen, und dem generellen Wertewandel bei wichtigen Zielgruppen in Richtung geringerer Produktanschaffungen (Stichwort: Mehr „Sein“ als „Haben“), können viele Handelsflächen schlichtweg nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden. Daher ist zu erwarten, dass im gesamten D-A-CH-Raum jährlich etwa 1,5-2,0 % jener Handelsflächen aufgegeben werden. In Österreich beispielsweise besteht genau dieser Trend schon seit acht Jahren und wird auch in den nächsten Jahren so anhalten. In den Innenstädten ist die Situation meistens nicht ganz so gravierend – der Rückgang wird in der Regel bei durchschnittlich etwa 1,0-1,5 % pro Jahr liegen. 

Die Gastronomie hingegen erlebt in Österreich und vielen anderen Ländern seit über einem Jahrzehnt einen regelrechten Aufschwung. Obwohl dieser durch Corona, Inflation oder Steuererhöhungen mehr oder weniger stark gebremst wurde, wird er durch das veränderte Kundenverhalten sicherlich in den nächsten Jahren weiter anhalten. Viele Menschen nutzen die Gastronomie verstärkt zur „analogen“ Kommunikation mit Freunden und Bekannten. Sowohl die Ausgaben der Einwohner für den Verzehr außer Haus als auch die Ausgaben der Touristen steigen. In den letzten zehn Jahren haben sich die durchschnittlichen Ausgaben der Wohnbevölkerung nahezu verdoppelt, während die allgemeine Kaufkraft im gleichen Zeitraum nur um knapp 40 % gestiegen ist.

Während sich also der stationäre Einzelhandel schwach entwickelt, prosperiert die Gastronomie, mit einer allerdings dramatischen Ausnahme: Covid. Durch die Ausgangssperren, Maskenpflicht und sonstigen Einschränkungen wurde dieser Trend schlagartig unterbrochen. Seit 2022 ist die Gastronomie insgesamt wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt und zeigt sich nun stärker als zuvor. Doch nicht der gesamten Branche geht es gut. Während die Nachtgastronomie und klassischen Gasthäuser (Stichwort: „Wirtshaussterben“) oft große Probleme haben, entwickelt sich die Abendgastronomie, vor allem in urbanen Bereichen, günstig. 

Junge hungrig nach „experience“

Die wichtigste Ursache für die stetig steigenden Gastronomieumsätze ist jedoch das Verhalten der jüngeren Zielgruppen, die deutlich häufiger vor allem die Angebote der Abendgastronomie nutzen. Das Treffen mit Freunden, das gemeinsame Erleben und das Entdecken von Außergewöhnlichem ist vor allem nach der Pandemie besonders ausgeprägt. Und die Gastronomie folgt diesen Erwartungen mit kreativem Speisen- und Getränkeangebot, zielgruppenadäquater Einrichtung und verschiedenen Zusatzleistungen. 

Auch im Tourismus sind bei steigenden Nächtigungszahlen die Gastronomieausgaben pro Nächtigung langfristig gesehen fast genauso stark gestiegen wie bei den Ausgaben der Wohnbevölkerung. Alles in allem also eine sehr positive Situation für die Gastronomie, doch das bedeutet nicht, dass die Gastronomie insgesamt expandiert, denn die Anzahl der Gastronomieunternehmen stagniert und ist beispielweise in Österreich in den letzten zehn Jahren sogar um 4 % gesunken. Und nachdem die durchschnittliche Größe der Gastronomiebetriebe ebenfalls nicht signifikant gestiegen ist, entstand dadurch auch fast kein zusätzlicher Flächenbedarf. Die Rechnung, dass die vom Handel freiwerdenden Flächen mit Gastronomiebetrieben besetzt werden können, geht demnach nicht so leicht auf. Günstig für die Innenstädte ist jedoch, dass die Schließungen von Gastronomiebetrieben vorwiegend außerhalb der Stadtzentren, also in ländlichen Gebieten ohne Tourismus und in den Randbezirken der Städte, stattgefunden haben. In den zentralen Lagen ist die Situation hingegen stabil bis sogar leicht positiv.

Um zu ermitteln, welchen Beitrag die Gastronomie im Zusammenhang mit den Innenstädten leisten kann, ist es trotz vielfacher Überschneidungen und Unschärfen sinnvoll, die Unternehmen grob nach Funktion zu typisieren. Abgesehen von einer an bestimmten Standorten überwiegend touristischen Funktion und einer Art Nahversorgungsfunktion in ländlichen und vorstädtischen Gebieten, kann die Gastronomie in der Innenstadt zwei wesentliche Funktionen haben: einerseits die „Versorgung“ der Besucher einer Einkaufszone und der Arbeitsbevölkerung mit schnellem und kostengünstigem Essen; andererseits die „Genussgastronomie“, entweder im innerstädtischen Ausgehcluster oder als zumeist exklusivere Lokale als innerstädtische Stand-alone-Standorte.

Während die Versorgungsgastronomie zumeist eine Umsatzzeit, nämlich Mittag, hat, sind es bei der Genussgastronomie meistens Mittagstisch und Abendtisch. Wo hauptsächlich Verkaufsflächen sind, also in Einkaufslagen, wird daher eher Versorgungsgastronomie passend sein.

Eine funktionierende Gastronomie braucht vor allem hungrige und durstige Menschen. Daher definiert man für die Gastronomie vier Gruppen von Potenzialspendern: die Wohnbevölkerung, die Arbeitsbevölkerung, die Touristen und die sonstige Tagesbevölkerung, zu der auch die Kunden einer Einkaufszone, aber u.a. auch Studierende zählen. In den Innenstädten sind zumeist alle vier Kundengruppen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, relevant. Und ob für ein Gastrounternehmen an einem Standort schließlich genug Umsatzpotenzial besteht, kann gut errechnet werden, wenngleich der Erfolg in dieser Branche auch noch wesentlich von anderen Faktoren wie Betriebstyp, Interieur, trendiges Speisen- und Getränkeangebot, Preisniveau etc. abhängt.

Ein Rechenbeispiel

Für Betriebstypen der sogenannten Versorgungsgastronomie in einer innerstädtischen Einkaufszone entsteht das relevante Umsatzpotenzial maßgeblich durch die Besucher der Handelszone. RegioPlan Consulting führt derartige Berechnungen für Gastronomieunternehmen, Shopping-Center-Betreiber und Städte seit mehreren Jahrzehnten durch. Für eine beispielhafte Berechnung stellen wir uns eine kleinere Stadt mit 20.000-30.000 Einwohnern vor, in der sich in einer durchschnittlich großen und funktionierenden Einkaufszone um die Mittagszeit 5.000 hungrige Menschen herumtreiben. Ungefähr die Hälfte dieser Besucher sind potenzielle Kunden der Gastronomie. Der Rest stillt den Hunger am Imbissstand, dem Lebensmittelhandel, beim Bäcker, isst unterwegs oder bleibt hungrig. Für die 2.500 Gastronomiebesucher beträgt die notwendige Fläche in typischen Restaurants etwa 3.500-4.000 qm. In dieser hypothetischen kleinen Stadt entspricht das ungefähr 6-8 % der gesamten Verkaufsfläche – und das ist bereits das obere Limit. Mehr lässt sich betriebswirtschaftlich meistens nicht darstellen, denn die Umsatzpotenziale wären zu gering. Dieser Prozentanteil ist auch jener, der für Shopping-Malls als Planungsgrundlage herangezogen wird, weil er sich in den ShoppingMalls in Mitteleuropa als erfolgreich herausgestellt hat. 

Wenn also in einer Einkaufszone deutlich weniger passende Gastronomiebetriebe angesiedelt sind, besteht eine gute Chance, dass sich - bis zu diesem Limit von etwa 8 % der Handelsfläche - mehr Gastrounternehmen ansiedeln und somit einen gewissen Beitrag zur erhofften „Rettung“ leisten. Die Gastronomie ist jedenfalls ein elementarer Teil des Branchenmix. Wenn das Handelsangebot und die Branchenzusammensetzung allerdings generell schon sehr schwach sind, kann mehr Gastro auch nicht helfen, denn diese ist in Einkaufszonen immer Frequenznutzer, fast nie Frequenzbringer. Was die Gastronomie leisten kann, ist also, bis zu dem oben angeführten Maß die Flächen aufzufüllen und somit den Branchenmix zu ergänzen und vervollständigen, denn zu wenig gastronomische Angebote sind auch ein Problem. Was Gastro nicht leisten kann, ist absterbende Zonen wiederzubeleben und die Abwärtsspirale umzudrehen.  

Die steigenden Gastronomieausgaben in vielen Ländern Europas sind jedoch nicht auf die Versorgungsgastronomie, sondern hauptsächlich auf die positive Entwicklung der genussorientierteren Gastronomie zurückzuführen. Für diese Abendgastronomie gelten andere Standortkriterien: Der ideale Standort ist zwar auch in der Innenstadt, aber oft nicht direkt in der Handelszone. Ungünstiger Flächenzuschnitt, mangelnde Freiflächenverfügbarkeit (Gastgarten), schlechte Erreichbarkeit, zu hohes Mietniveau, fehlende technische Bedingungen, wie z.B. Lüftung, erschweren dies.

Abseits der Handelszonen im engeren Sinn kommt der Gastronomie in den Innenstädten jedoch eine besonders wichtige Funktion zu. Es ist zu konstatieren, dass es immer weniger Notwendigkeiten gibt, in eine Innenstadt zu kommen. Der Handel ist „entortet“ und auch viele andere, ursprünglich städtische Funktionen sind aus den Stadtzentren verschwunden, an andere Stellen in der Stadt oder ins Internet. Das heißt, schwächelnde Frequenzen sind keineswegs nur auf den unter Dauerdruck geratenen Handel zurückzuführen, sondern auf den allgemeinen Funktionsverlust des Zentrums. Es geht also darum, dass Menschen freiwillig und gerne in die Innenstädte kommen, obwohl sie es nicht mehr müssen. Und was kann da hilfreicher sein als eine vielfältige und abwechslungsreiche Gastronomie? In dieser Situation kann die Gastronomie in einer Innenstadt viel Gutes tun: Sie kann bei der notwendigen Umorientierung der Handelszonen einen wichtigen Beitrag leisten, insbesondere, wenn sich durch den allmählichen Rückzug des Handels wieder andere, ursprünglich innerstädtische Funktionen ansiedeln: Kultur, Freizeit, Kunst, Gesundheit etc. Die Gastronomie hilft in dieser Metamorphose, denn sie stellt einen wichtigen Baustein zur Schaffung einer Community dar und erhöht damit die Aufenthaltsqualität der gesamten Innenstadt.

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