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19. Januar 2023

Wenn kein Warenhaus, was dann?

EIN GASTBEITRAG VON THORSTEN KEMP – ERFAHRENER CENTERMANAGEMENT- UND RETAILEXPERTE ÜBER DIE AUSWIRKUNGEN DES ZWEITEN SCHUTZSCHIRMVERFAHRENS VON GALERIA KARSTADT KAUFHOF
Thorsten Kemp ist seit rund 25 Jahren in der Handelsimmobilienbranche tätig.
Chance für Heimtextilien-Anbieter bei Schließung der GALERIA-Häuser
Tishman Speyer und Investoren aus Abu Dhabi entwickeln den alten Kaufhof/das Klöpperhaus in Hamburgs City.

Die Ruhe angesichts der dramatischen Auswirkungen des neuerlichen Schutzschirmverfahren von GALERIA in der Branche ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.

Bereits im Jahr 2020 trat das Kaufhausunternehmen GALERIA (Karstadt/Kaufhof) im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erstmalig unter den Schutzschirm. 62 Filialen sollten gemäß des Fortführungskonzeptes geschlossen werden. Für 50 Häuser bedeutete dies schließlich das endgültige Aus. Die Schließung von weiteren zwölf Filialen konnte seinerzeit noch abgewendet werden.

Ende Oktober 2022 leitete GALERIA Karstadt Kaufhof nunmehr das zweite Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (Schutzschirmverfahren) innerhalb von zwei Jahren ein. Von den 131 verbliebenen Häusern könnten ein Drittel (also ca. 43) kurzfristig geschlossen werden. Dies gab Unternehmenschef Miguel Müllenbach bekannt. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen wurde öffentlich, dass sich diese Zahl noch einmal verdoppeln könnte. Zuletzt war von der Schließung von bis zu 90 Häusern die Rede. Der Generalbevollmächtigte der GALERIA und vom Eigentümer (SIGNA-Gruppe) erneut eingesetzte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz kündigte an, die Schließungsliste Ende Januar 2023 bekannt zu geben.

Auswirkungen auf die unterschiedlichen Stakeholder

Eigentümer/Vermieter sowie Stadtverwaltungen/Oberbürgermeister sitzen nun ein weiteres Mal wie „das Kaninchen vor der Schlange“ und warten, wie schon 2020, darauf, ob sie auf der Schließungsliste des letzten Deutschen Warenhauskonzerns landen. Sicher - die großen Bestandshalter haben Alternativplanungen für die Flächen in der Schublade. Allein das wenig expansive Retail Real Estate Umfeld zeigt erste Grenzen dieser Vorsorge auf. Auch das Zauberwort „Mixed Used“ ändert nichts an den begrenzten Möglichkeiten, neue Mieter mit vergleichbaren Mieten und gleichbleibender Magnetfunktion für die Assets zu finden. Den Oberbürgermeistern, ihren Stadtplanern und Bürgern stehen tiefgreifende Veränderungen ihrer Innenstädte durch den drohenden Leerstand in ihrer City ins Haus. Diese gilt es zu gestalten. Hierbei kann es unterschiedliche Interessen zwischen Stadt und Privatwirtschaft geben, die zu einem Ausgleich geführt werden wollen.

Für alle Stakeholder sind in jedem Fall dramatische Auswirkungen zu erwarten:

1      Eigentümer/Vermieter

1.1  Weitere Machtverschiebung zugunsten der Mieter hin zum Mietermarkt
Je nach Schließungsszenario drängen zusätzliche 720.000 qm (bei 40 Filialen) bis 1,62 Mio. qm (bei 90 Filialen) ab dem 1. Februar auf den Markt für 1 A-Lagen, wenn man eine durchschnittliche Verkaufsflächenausstattung eines GALERIA Warenhauses von 18.000 qm in Ansatz bringt. Zur Einordnung: Allein der mindestens zu erwartende zusätzliche Leerstand von 720.000 qm Verkaufsfläche entspricht mehr als dem Doppelten der Einkaufsdestination Köln, deren Verkaufsfläche in der Innenstadt mit 330.000 qm angegeben wird. Auch wenn sich diese Flächen zu 75-80 % (bei 4- oder 5-etagigen Warenhäusern) in den Obergeschossen befinden, ist eine weitere Verschärfung des Wettbewerbes um potenzielle Mieter unausweichlich. Auf die zuletzt wenigen expansiven Retail-Konzepte im eingetrübten Umfeld des Einzelhandels trifft ein Überangebot an hervorragend gelegenen Flächen. Dies wird weiter zu einer Machtverschiebung zugunsten der Handvoll solventer Mieter gegenüber den unter Druck geratenden Eigentümern/Vermietern führen. An dieser Situation wird sich – aufgrund der schier enormen Leerstandsfläche - auch über Jahre hinaus nichts ändern. Inzwischen ist die Pandemie zwar überwunden, Frequenzen sind zu 85-95 % wieder in die Innenstädte zurückgekehrt und der online-Handel hat Pandemieumsatzanteile wieder an den stationären Handel abgegeben. Dies führt aber aufgrund des Kaufkraftverlustes, den die Konsumenten auf breiter Front durch Inflation und Energiekrise im Zuge der Auswirkungen des Ukrainekrieg erleiden, nicht zu einer Entspannung der wirtschaftlichen Lage der Mieter, einer höheren ökonomischen Leistungsfähigkeit und neuem Expansionswillen.

1.2 Negative Auswirkungen auf Erträge, Rentabilität, Investitionsbedarf und Wert von Immobilienportfolios

Infolge der GALERIA-Schließungen sind sinkende Mieten und Erträge zu erwarten. Über die Kapitalisierung der Mieten sind im Zuge dessen auch niedrigere Bewertungen der Immobilienportfolios absehbar. Aufgrund des generellen Überangebotes sind diese Auswirkungen mittelfristig nicht nur bei Eigentümern, die aktuell ihren Warenhausmieter verlieren, sondern generell für alle Gewerbeimmobilien in Deutschen Innenstädten zu erwarten. Eigentümer verlieren kumulierte Jahresmieten zwischen 61 bis ca. 121 Millionen Euro beim kleineren Schließungsszenario von 40 Filialen oder 136 bis 272 Millionen Euro beim größeren Schließungsszenario von 90 Filialen. Bei dieser Berechnung wurde jeweils eine Mietspanne von 7 bis 14 Euro pro Quadratmeter zugrunde gelegt, die je nach Standortqualität bei den Warenhausstandorten der GALERIA angenommen werden kann. In diese Mietschätzung ist eingeflossen, dass bereits vor den Schließungen im Jahr 2020 erheblich durch das GALERIA-Management zusammen mit dem Insolvenzverwalter (in Eigenverwaltung) bei den Nettomieten für die verbleibenden Standorte nachverhandelt worden ist. 

Da die Warenhausflächen außerdem tendenziell lange Mietverträge haben und sie oft hohe Flächenanteile an der Gesamtimmobilie ausmachen (häufig sogar Stand-alone Standorte sind), sind die Auswirkungen auch auf den WALT (Weighted Average Lease Term) erheblich. Der WALT der betroffenen Immobilien wird zwangsläufig und nachhaltig sinken und infolgedessen die Risikoklasse der betroffenen Immobilien deutlich steigen. Dies gilt selbstverständlich auch für Häuser, die aufgrund von Zugeständnissen der Vermieter bei den Mieten in der aktuellen Verhandlungsrunde weiter geöffnet bleiben. Was dies für die Wertentwicklung der betroffenen Assets und Portfolios bedeutet, können sich Brancheninsider je nach subjektiver Einschätzung des aktuellen Kapitalisierungsfaktor auf dem Transaktionsmarkt selbst ausrechnen.

Zusätzlich wächst mit dem Verlust des Warenhausmieters die Notwendigkeit zur Investition, um die nicht betriebenen Großflächen an die Erfordernisse der fast immer kleinteiligeren Interessenten aus dem Retail anzupassen oder in den Obergeschossen Mieter aus dem Hospitality, Sport/Leisure, Gesundheits- oder Freizeitbereich anzusiedeln. Um die oft geschlossenen Fassaden der Warenhausboliden aus den 60er und 70er zur Highstreet hin zu  öffnen oder vielleicht sogar Büro- oder innerstädtische Wohnungsnutzungen möglich zu machen, werden enorme Anstrengungen notwendig sein.

Im Ergebnis:

Die Rentabilität der betroffenen Assets sinkt bei gleichzeitig steigendem Investitionsaufwand und hohem Wertberichtigungsbedarf.

2    Stadtverwaltungen/Oberbürgermeister/Bürger

Die handelnden Personen auf der politischen wie administrativen Ebene finden sich in einer besonders schwierigen Situation wieder. Der ab Anfang Februar drohende Leerstand in ihren Innenstädten konfrontiert sie mit den hohen Ansprüchen, die sie und die Stadtbevölkerung an ihren Lebensraum stellen. An den Innenstädten kristallisiert sich dieser Anspruch. Die City ist für den städtischen Ballungsraum das Sinnbild des urbanen Lebensgefühl. Sie unterscheidet per Definition das Stadt- vom Landleben. In der Stadt und gerade in der Innenstadt wird von ihren Bürgern und den Besuchern aus dem Umland Vielfalt, Diversität, gestalterische Qualität und nicht zuletzt die Verfügbarkeit eines großen Angebotes erwartet, ja vorausgesetzt.

Harte Faktoren wie die Versorgungsfunktion für die Bevölkerung werden aber ebenso durch die Schließung der großflächigen Warenhäuser in Mitleidenschaft gezogen, wie weiche Faktoren. wie z.B. das Shopping-Erlebnis oder allgemein die Atmosphäre beim Stadtbummel. Besonders schwierig ist die Situation der Entscheidungsträger in allen Kommunen auch deshalb, weil sie angesichts der drohenden Leerstände zwar Adressat für die Klagen, Nöte und Wünsche der Bürger sind, gleichzeitig aber nur begrenzt Einflussmöglichkeiten auf den Warenhausbetreiber oder die Gebäudeeigentümer haben. In den ostdeutschen Städten kommt erschwerend hinzu, dass der Verkaufsflächenanteil der Innenstädte an der Gesamtverkaufsfläche im Stadtgebiet oftmals ohnehin geringer ist als in den „alten“ Bundesländern. Dies verstärkt die Wirkung der Warenhausschließung für ostdeutsche Innenstädte zusätzlich. 

2.1 Gestalterischer Attraktivitätsverlust durch Leerstand

Faktisch werden über Nacht ca. 40 bis max. 90 Warenhäuser ab 1. Februar  in Deutschland geschlossen. Aufgrund der Kurzfristigkeit der Entwicklung sowie der Größe und Struktur der betroffenen Großimmobilien wird dies zu „klaffenden“ Zahnlücken in der Reihe der Innenstadtbebauung führen. Oft sind die Warenhäuser Monolithen ohne eingeschnittene Shopfassaden. Bei ihrer Schließung drohen Hunderte Meter Schaufenster von einem Tag auf den anderen dunkel zu werden. Dies kann neben der zu erwartenden geringeren allgemeinen Frequentierung zu  Veränderungen der Gehbeziehungen und im Extremfall zum Abriss von Besucherströmen in bestimmten Bereichen führen.

In den meisten Fällen werden Nachnutzungen in welcher Form auch immer jahrelange Baustellen nach sich ziehen. In den Fällen, in denen allerdings der Schließung Abriss und Neubau folgen und bei denen die alten Warenhausgebäude eher unattraktiv waren, besteht auch die Chance auf eine dauerhafte architektonische und gestalterische Aufwertung der gesamten Innenstadt.

2.2 Verlust der Versorgungsfunktion

In bestimmten Sortimentsbereichen sind die Warenhäuser tendenziell nach wie vor gut aufgestellt. Bei z.B. Haushaltswaren, Heimtextilien und Spielwaren üben sie nach wie vor – zumindest für die Innenstädte – eine noch maßgebliche Versorgungsfunktion für die Bevölkerung aus. Diese Versorgungslücke gilt es möglichst gezielt durch die Ansiedlung spezialisierter Fachgeschäfte zu schließen, wenn der Sortimentsmix in der Innenstadt weiterhin aufrechterhalten werden soll.

Im Ergebnis:

Insgesamt bedeutet die Schließung des jeweiligen GALERIA-Standortes für die betroffene Stadt in jedem Fall

-       eine Schwächung der Attraktivität der Innenstadt durch Verlust eines Magnetbetriebes

-       einen Verlust der Wettbewerbsposition zu Einzelhandelsagglomerationen
auf der „Grünen Wiese“

-       eine sinkende Zentralitätskennziffer und die Schwächung der Funktion als Oberzentrum

sowie

-       eine Schwächung der Atmosphäre und des Flairs der Innenstadt

Unterschiedliche Strategien der Marktteilnehmer

Einige Reaktionen im Vorfeld zeigen die ganze Bandbreite möglicher Strategien unterschiedlichen Marktteilnehmer.

1.   Beispiel Private Eigentümer

Einige Eigentümer verfolgen eine Exitstrategie. So hat die DIC die betreffende Kaufhof-Immobilie in Chemnitz zwischen Weihnachten und Neujahr an die Krieger-Gruppe verkauft. Der Berliner Unternehmer Kurt Krieger ist in Chemnitz mit dem Chemnitz Center und dem Möbelhaus Höffner bereits auf der „Grünen Wiese“ stark vertreten und nimmt zukünftig durch den Erwerb des GALERIA-Gebäudes auch eine starke Marktposition als Vermieter in der Innenstadt ein.

Auch von anderen Händlern, wie zuletzt vom Dortmunder Unternehmer Friedrich-Wilhelm Göbel mit seiner Aachener Gruppe, wurde bekannt, dass sie an den gut frequentierten Innenstadtlagen Interesse haben und sich offenbar mit GALERIA und einigen Gebäudeeigentümern in Übernahmeverhandlungen befinden.  

Die SIGNA-Gruppe selbst plant in Hannover den Abriss des alten Warenhauses und einen Neubau an gleicher Stelle. Der Mietvertrag des entsprechenden Kaufhof-Gebäudes (ein Doppelbelegungsstandort für GALERIA) läuft Ende Januar 2023 aus. Das Warenhaus ist bereits geschlossen.

2.   Beispiel Städte

Einige Kommunen, wie z.B. die Stadt Lübeck, gehen selbst ins Risiko, um die Gestaltungshoheit über die Schlüsselgrundstücke ihrer Innenstädte selbst in der Hand zu behalten. Das sogenannte B-Haus, ein ehemaliger Karstadt Sport Standort wurde bereits im Herbst 2020 geschlossen. Der Kauf wurde im September 2021 durch die Bürgerschaft der Hansestadt beschlossen und der Eigentumsübergang war für Januar 2023 angekündigt. In Lübeck sollen - wie schon im Falle Oldenburgs und Neuss geschehen - „gemischte Nutzungen“ auch mit dem Charakter von Kultur- und Begegnungsstätten entstehen und für einen attraktiven Ausgleich in der Innenstadt sorgen.

In anderen Städten, wie z.B. in Dresden, wird über die immer zuerst naheliegendste Lösung, nämlich das Einspringen der öffentlichen Hand als Mieter, im Fall Dresdens mit einem zentralen Standort der Stadtverwaltung, öffentlich nachgedacht.

Beim einzigen in Sachsen-Anhalt verbliebenen GALERIA-Standort in Magdeburg versucht die Stadtspitze durch Verhandlung mit dem Warenhauskonzern ein Fortbestehen zu sichern.

Im regen Austausch mit der Geschäftsführung der GALERIA als Betreiber auf der einen Seite und den jeweiligen Gebäudeeigentümern auf der anderen Seite werden sich vermutlich alle Städte aktuell befinden. Ob dies einen Einfluss auf die Schließungsliste oder die zukünftige Nutzung/Verwertung der Immobilie haben wird, darf unterdessen bezweifelt werden. Beim aktuellen Unsicherheitsstatus wird kaum ein Stadtoberhaupt bereits zum jetzigen Zeitpunkt öffentlichen Druck z.B. über die Presse ausüben wollen. In Magdeburg wird allerdings in diesem Zusammenhang  über ein offenbar bestehendes Vorkaufsrecht für die Stadt unter nicht weiter erläuterten Voraussetzungen berichtet, was der Stadt durchaus eine Einflussmöglichkeit eröffnete.

Handlungsempfehlungen:

Handlungsempfehlungen für die Eigentümergesellschaften sind nicht Teil dieser Betrachtung. Diese haben Fachleute zur Verwertung oder Konzeptionierung selbst an Bord oder beschaffen sich die entsprechenden Kompetenzen auf dem Markt. Zielgrößen werden in einem Fall die Ertragssicherung, in einem anderen Fall die Risikosteuerung und im dritten Fall eine Kombination aus beidem sein.

Für die Städte:

Bei den Kommunen ist die Aufgabe komplexer. Hier spielen nicht nur begrenzte ökonomische Effekte eine Rolle, sondern auch Auswirkungen auf den gesamten Wirtschaftsstandort. Dies kann z.B. die Umsatzentwicklung aller Handels- und Gastronomieunternehmen in der City oder eine touristische Kennzahl wie z.B. die Entwicklung der Übernachtungszahlen sein. Hinzu kommen nicht-monetäre Auswirkungen auf die Lebensqualität der Stadtgesellschaft insgesamt, die sich nicht unmittelbar in Währungseinheiten beziffern lässt. Die begrenzte Anzahl möglicher Instrumente erschwert die Einflussnahme zusätzlich, wenn die Kommune nicht selbst Eigentümer der Immobilie werden will, was in den seltensten Fällen der Fall sein wird. Besteht wie in Lübeck politischer Konsens darüber, dass nur der Erwerb und die eigene Entwicklung der Immobilie garantiert, das Heft für die Gestaltungshoheit der Innenstadt in der Hand zu behalten, sind natürlich der Aufbau entsprechender immobilienwirtschaftlicher Kompetenzen zur Konzeptionierung, dem Umbau, der Vermietung und der Bewirtschaftung der entsprechenden Immobilie erste Priorität.

Kurzfristig:

Wollen die Städte die Gestaltungshoheit nicht anderen überlassen, müssen sie proaktiv handeln. Hierzu gehört die Analyse auch harter Einflussfaktoren. An erster Stelle steht die Prüfung eines Vorkaufsrechtes. Selbst wenn man dieses nicht auszuüben bereit ist, kann man den Verzicht eines solchen Rechtes vertraglich auch an bestimmte Bedingungen und Entwicklungsziele knüpfen, sollte der Eigentümer der Immobilie wechseln.

Als zweites Instrument gilt es die Stadtgesellschaft hinter sich zu versammeln und Einfluss über gezielte Öffentlichkeitsarbeit für die Nachnutzung der Immobilie auszuüben. Schon im Vorfeld zur Veröffentlichung einer Schließungsliste kann die Stadt eigene Ansprüche an eine eventuelle Nachbelegung der Immobilie formulieren, vorausgesetzt es handelt sich um realistische Vorgaben.

Auch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Oberbürgermeister und der Zusammenschluss zu einem Verbund von Städten, die ähnliche Interessen aufgrund ähnlicher Rahmenbedingungen haben, was Gebäudegröße, zentrale Lage und städtebauliche Bedeutung der von der Schließung bedrohten GALERIA-Standorte angeht, ist möglich und sinnvoll. In Abstimmung mit den jeweiligen Eigentümern kann eine eigene städtische Informations- und Vermarktungsplattform für diese Leerstände bereitgestellt werden. Zwar hat das Institut für Handelsforschung IFH Köln unter dem Titel „Stadtlabore für Deutschland“ mit 14 deutschen Modellstädten eine solche digitale Plattform als Projekt seit über einem Jahr in der Bearbeitung. Allerdings verweisen die Kontaktpersonen bei Nachfrage, wann diese endlich online geht, auf das Wirtschaftsministerium. Vermutlich ist ein Städteverbund auf kleinerer Basis wirklich interessierter Kommunen unter dem Druck der GALERIA-Leerstände hier zwar die kleinere, aber auch schnellere Lösung.

Ganz praktisch und kurzfristig sollten auch Konzepte zur kurzfristigen Gestaltung  der Leerstände und die Zwischennutzung im Sinne der jeweiligen Stadt erarbeitet und mit den Eigentümern der Gebäude abgestimmt werden. Nur so kann der negative Effekt der schon bald überall präsenten dunklen Schaufenster auf die Atmosphäre der Innenstädte verhindert werden. Hierbei kann die jeweilige Kreativwirtschaft der Städte anspruchsvollen Content bereitstellen. An die Stelle von schnellen, aber lieblosen und unattraktive Notlösungen wie großflächigen Abklebungen können so moderne, multimediale und interaktive Gestaltungen treten, die stadtspezifische Inhalte transportieren.

Konzessionäre sowie Anbieter und Marken, die bei GALERIA geführt werden und einen eigenen stationären Einzelhandel betreiben, können kontaktiert und so im besten Fall als eigene Shops für die Stadt erhalten werden. Die Schließung des GALERIA Standortes ist zwar der Beweis, dass das Vertriebskonzept Warenhaus an dem jeweiligen Standort keine Chance mehr bietet, nicht aber zwangsläufig dafür, dass einzelne Brands und Markenanbieter keine auskömmlichen Umsätze am Standort erwirtschaftet haben. 

Mittelfristig

Mittelfristig kann ein Verbund gleichgesinnter Kommunen eine Taskforce einrichten, um sich über expansionswillige Handels- und Gastronomieanbieter sowie Anbieter aus dem Freizeit- und Leisurebereich sowie deren Ansiedlungsvoraussetzungen regelmäßig zu informieren.

Innovationspreise für neue Handels- und Gastronomieanbieter, wie heute schon in einigen Städten ausgelobt, können den Unternehmergeist anspornen und zur Erprobung neuer Konzepte führen. Denkbar sind Sponsorships über Mieten (z.B. durch die Immobilieneigentümer) oder die Übernahme von Betriebskosten (z.B. durch städtische Energieträger der Kommunen), um die Belastung der Existenzgründer in der Startphase niedrig zu halten.

Langfristig:

Langfristig kommen die Kommunen am Kompetenzaufbau im Rathaus oder ihren Wirtschaftsförderungsgesellschaften in Bezug auf Einzelhandel, Hospitality und Standortmarketing nicht vorbei, auch wenn dieses Know-How vereinzelt bereits vorhanden ist. Nur durch eigene Kenntnis über mögliche Nutzer und deren Eckdaten wie Expansionsbereitschaft, Mietbelastung, Flächengrößen und -ausstattung können ernst zu nehmende Anforderungen an die privaten Eigentümer seitens der Stadt formuliert werden. Eine stets aktuell geführte Fehlbranchen – und Wunschmieterliste erscheint hierbei ein einfaches aber unverzichtbares Instrument zu sein.  Die hierzu notwendigen personellen Ressourcen sind durch eigenes oder externes Personal bereitzustellen, wenn man sich als Partner gegenüber Investoren und Anbietern auf Augenhöhe etablieren möchte.

Das Jahr 2023 und die kommenden Jahre werden weiter herausfordernd für die Immobilienwirtschaft aber auch für Städte und Gemeinden sein. Konkrete und innovative Ansätze können dabei helfen. Dabei kann es z.B. von Vorteil sein, einmal den Blickwinkel zu wechseln. Jahrelang hatte man im Auge, dass auf der „Grünen Wiese“ keine innenstadtrelevanten Sortimente angesiedelt werden dürfen. Nun könnte man gerade umgekehrt danach schauen, welche Sortimente von der „Grünen Wiese“ vielleicht in Zukunft auch unsere Innenstädte bereichern könnten.

Über den Verfasser dieses Beitrags:

Thorsten Kemp ist seit 25 Jahren im Retail Real Estate tätig. 17 Jahre eröffnete, erweiterte und leitete er große und für ihre Region z.T. marktbeherrschende Objekte wie z.B. die ALTMARKT-GALERIE in Dresden oder das SKYLINE PLAZA in Frankfurt. Anschließend folgten acht Jahre überregionale Tätigkeit als Leiter Centermanagement. Der Autor hat sich während seiner operativen Tätigkeit immer als Partner für die Städte verstanden und dies durch die Wahrnehmung einer ganzen Reihe von ehrenamtlichen Funktionen im City- und Stadtmarketing an den unterschiedlichen Standorten unter Beweis gestellt. Fragen und Anregungen sind herzlich willkommen unter thorsten.kemp@stadtundstandort.de .

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