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26. Juni 2024

Alles, nur nicht nachhaltig

WARUM TEMU, SHEIN & CO. IN DIE SCHRANKEN GEWIESEN WERDEN MÜSSEN – EIN MEINUNGSBEITRAG VON CHRISTIAN HUNZIKER
Christian Hunziker arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und schreibt regelmäßig für die FAZ und das Wirtschaftsmagazin Capital. Für das jüngste HI HEUTE-Buch „TRANSFORMATION INNENSTADT" hat er das Einstiegskapitel verfasst. Nun schrieb er für uns einen detaillierten Meinungsbeitrag zum Thema „Shein, Temu und Co."

Es ist immer wieder faszinierend, sich auf den Webseiten von Temu und Shein umzusehen. Falls Sie unbedingt einen Garnelenschäler aus Edelstahl benötigen – kein Problem, für 1,24 Euro ist er bei Shein zu bestellen. Wen es nach einem Viererset goldfarbener Kuchenschaufeln gelüstet, ist mit 1,63 Euro dabei. Fünf Boxershorts für 7,79 Euro, ein Paar Kinderschuhe für 9,09 Euro, ein Laptop für 195,48 Euro: Auch Konkurrent Temu lässt keine Wünsche des preisbewussten Verbrauchers offen.

Wer sich auch nur gelegentlich auf Social-Media-Kanälen herumtreibt, kommt an den chinesischen Handelsplattformen nicht vorbei. Ihr Aufstieg ist kometenhaft: Innerhalb kürzester Zeit sind sie zu einer ernsthaften Konkurrenz für Amazon, Otto und Zalando geworden. Laut dem „Trend Check Handel“ des ECC Köln kennen 91 Prozent der Verbraucher die neuen Plattformen aus Asien, und 43 Prozent nutzen sie.

Der Protest formiert sich

Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen die Marktplätze aus Fernost. In Deutschland hat der Verbraucherzentrale Bundesverband Shein abgemahnt, da die Plattform in mehreren Punkten gegen den Digital Services Act (Gesetz für digitale Dienste) der EU verstoße. Konkret monieren die Verbraucherschützer u.a. willkürlich erscheinende Rabatthöhen und fehlende Informationen bei Sternchen-Bewertungen. Auf europäischer Ebene hat die Verbraucherorganisation BEUC bei der EU Beschwerde gegen Temu eingereicht, ebenfalls unter Verweis auf Verstöße gegen den Digital Services Act.

Das französische Parlament hat im März mit Blick auf die Plattformen sogar konkrete Maßnahmen beschlossen, die u.a. eine Umweltabgabe auf nicht nachhaltige Produkte beinhalten. Noch nicht so weit ist Deutschland. Immerhin hat der Ausschuss für Digitales des Bundestags im Juni über einen Bericht der Bundesregierung debattiert, der sich mit Maßnahmen befasst, „um ein regelkonformes Verhalten der Online-Händler Temu und Shein in Deutschland und Europa sicherzustellen“.

Doch gepflegte Debatten reichen nicht aus. Es braucht wirksame Maßnahmen, um die Plattformen in die Schranken zu weisen. Dabei sollen Temu, Shein & Co. natürlich nicht deshalb bekämpft werden, um das eigene Geschäft vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Marktwirtschaftliche Grundsätze müssen auch bei diesem Thema gelten – aber das bedeutet eben auch, sich an die Regeln der Marktwirtschaft zu halten. Und genau hier liegt die Crux. Denn Stephan Tromp, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), hat recht, wenn er sagt: „Wer hierzulande Waren anbietet und verkauft, muss sich auch an unsere Regeln und Gesetze halten.“

Mangelnde Produktqualität

Daran aber krankt es – aus mehreren Gründen. Zum einen erfüllen viele Produkte nicht die Vorgaben an den Verbraucherschutz. Kunden und Testkäufer berichten über erhebliche Qualitätsmängel bei vielen der auf den Plattformen angebotenen Produkte; so fehlt bei manchen Artikeln die CE-Kennzeichnung.

Mangelnde Kontrolle zeigt sich auch bei den Zollvorschriften. Offensichtlich gelingt es den Zollbehörden nicht, die Unmengen an Paketen aus Fernost sorgfältig zu kontrollieren. Und ebenso scheitern die zuständigen Behörden daran, die Einhaltung des Lieferkettengesetzes durchzusetzen, das Unternehmen zur Beachtung der Menschenrechte in globalen Lieferketten verpflichtet.

Greenwashing vom Feinsten

Damit hängt ein weiterer Punkt zusammen: Die umstrittenen Marktplätze betreiben offensichtlich Greenwashing und Socialwashing. Sie geben sich alle Mühe, sich als vorbildliche Unternehmen darzustellen, die hohe ökologische Standards einhalten, Arbeitnehmerrechte garantieren und Gutes für die Umwelt tun. Temu rühmt sich beispielsweise, über das Programm „Trees for the Future“ die Pflanzung von Bäumen in Afrika zu unterstützen. Und Shein veröffentlicht auf der Webseite eine umfangreiche „Erklärung zur Transparenz der Lieferkette“, in der sich das Unternehmen verpflichtet, „Probleme im Zusammenhang mit moderner Sklaverei, Zwangsarbeit und Menschenhandel anzugehen“.

Gut gebrüllt, Löwe. In Wirklichkeit weiß niemand genau, unter welchen Bedingungen die Produkte, die das Herz der Schnäppchenjäger höherschlagen lassen, hergestellt werden. Dass bei der Produktion eines Garnelenschälers für 1,24 Euro Arbeitsplatzsicherheit, Acht-Stunden-Tag und Gesundheitsvorsorge eine sehr untergeordnete Rolle spielen, müsste jedem klar sein. Und das Prinzip der Plattformen, in schneller Abfolge eine Unzahl neuer Produkte auf den Markt zu werfen und damit zu unnötigen Käufen zu animieren, führt den Gedanken der Nachhaltigkeit ohnehin ad absurdum. Das T-Shirt und die Hose sind ja so billig – da kann ich sie doch problemlos nach zweimaligem Tragen entsorgen und mir was Neues leisten.

Will der Verbraucher Nachhaltigkeit?

Hier stoßen Vorgaben und Regeln allerdings an ihre Grenzen. In der Pflicht ist auch der mündige Verbraucher, der in Umfragen immer wieder betont, wie wichtig ihm Nachhaltigkeit ist. Laut dem gerade veröffentlichten „Konsummonitor Nachhaltigkeit 2024“ des HDE zählen sich nicht weniger als zwei Drittel der Befragten zu den Nachhaltigkeitsbewussten, und fast die Hälfte gibt an, tatsächlich nachhaltig einzukaufen und damit auf die Langlebigkeit von Produkten, nachhaltige Materialien und faire Produktionsbedingungen zu achten – also auf Punkte, die dem Geschäftsmodell von Temu, Shein & Co. diametral gegenüberstehen. Jetzt sollen die Befragten diesen Lippenbekenntnissen bitteschön auch Taten folgen lassen.

Ein konkreter Vorschlag

Das aber entlässt Politik und Verwaltung nicht aus ihrer Verantwortung. Sie müssen es erreichen, dass sich die chinesischen Plattformen an die hiesigen Gesetze und Vorschriften halten. Einen interessanten Vorschlag hat dazu der HDE vorgelegt: Demnach sollen Unternehmen aus Drittstaaten verpflichtet werden, einen verantwortlichen Wirtschaftsakteur in der EU zu benennen, der im Rahmen der behördlichen und privaten Rechtsdurchsetzung in Anspruch genommen werden kann.

Dann könnten die Behörden Sanktionen tatsächlich durchsetzen – zum Wohle der Verbraucher, der seriösen Einzelhändler und der Umwelt.

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